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Channel: Arzneimittelversorgung
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Überregulierung abbauen

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Wo immer sich Krankenkassen derzeit zu Arzneimitteln äußern, nirgends fehlt eine knallharte Forderung: Der zwischen Pharma-Unternehmer und GKV-Spitzenverband ausgehandelte Erstattungspreis für Innovationen soll bereits rückwirkend vom ersten Tag nach Markteinführung an gelten und nicht erst nach einem Jahr. Der Sovaldi-Schock sitzt den Kassenvertretern so in den Knochen, dass sie diese Forderung mantra-artig wiederholen.

Sie fehlt auch nicht in dem Positionspapier „10 Handlungsfelder für Qualität und Finanzierbarkeit der Arzneimittelversorgung“ des GKV-Spitzenverbands, das – entgegen allen anderslautenden Beteuerungen – auf weitere Regulierungen des Arzneimittelmarktes hinausläuft und jeglichen Zusammenhang zwischen dem Gesundheitssystem und der wirtschaftlichen Entwicklung der Arzneimittelhersteller verneint.

Begründet werden die Forderungen mit Verkrustungen im Arzneimittelmarkt, die durch einen Modernisierungsschub aufgebrochen werden müssten, „damit die Menschen in Zukunft besser, sicherer und wirtschaftlicher mit Medikamenten versorgt werden können.“

Ob die Mittel, die der Spitzenverband dafür vorschlägt, zielführend sind, darf allerdings bezweifelt werden. Gerade die Erfahrungen insbesondere mit der frühen Nutzenbewertung lassen eher das Gegenteil befürchten. Und genau hier wollen die Kassen ja ansetzen.

Ihre Forderung auf Abschaffung des letzten Rests an Preisautonomie der Hersteller im ersten Jahr ist mit ihrem Wunsch, den Versicherten frühzeitig Arzneimittelinnovationen zur Verfügung zu stellen, nicht kompatibel. Mindestens zehn Innovationen haben die Hersteller bereits jetzt entweder gar nicht erst in den Markt eingeführt oder davon zurückgezogen. Wie soll das erst werden, wenn sie gar nicht mehr abschätzen können, was damit zu erlösen ist? Und selbst Produkte, denen die Anerkennung eines Zusatznutzens nicht verweigert werden konnte, kommen – auch dank geschürter Regressängste bei den Ärzten – nur einem Bruchteil der betroffenen Patientenkollektive zugute.

Zwar sind solche heftigen Nachwehen für die Versorgung der Patienten bei einer Nutzenbewertung breit eingeführter, patentgeschützter Bestandsmarktpräparate nicht zu befürchten. Freude macht diese erneute Forderung des GKV-Spitzenverbands der Branche dennoch nicht, zumal sie in Kollektivhaftung für gescheiterte Preisverhandlungen genommen werden soll. Bleiben die Einsparungen durch Erstattungspreisverhandlungen nämlich hinter den Erwartungen zurück, dann soll für diese patentgeschützten Medikamente ohne Erstattungsbetrag das Preismoratorium über 2017 hinaus verlängert und die Höhe des Herstellerabschlags vom Einsparvolumen abhängig gemacht werden – ganz nach dem Motto: Je weniger den Herstellern bei Erstattungspreisverhandlungen abzupressen ist, desto höher muss der Zwangsrabatt ausfallen.

Damit transparent wird, was die Arzneimittelhersteller in anderen Ländern für ihre Produkte verlangen, wünschen sich die Krankenkassen ein EU-weites Preismeldesystem, das es „den Mitgliedstaaten erlaubt, in die Referenzpreise (bereinigt um bestehende Rabatte und Abschläge sowie unter Berücksichtigung von Teilverordnungsausschlüssen) Einsicht zu nehmen. Ein solches Meldesystem stellt die Verhandlungen auf eine breitere Informationsgrundlage, so dass am Ende ein fair ausgehandelter Erstattungsbetrag steht.“

Lieferengpässe, die – wie die Kassen richtig analysieren – durch Konzentration der Produktion auf wenige Standorte verursacht sein können sollen durch administrative Maßnahmen verhindert werden. Dazu sollten die Aufsichtsbehörden der Länder mit größeren, sanktionsbewehrten Durchgriffsrechten ausgestattet werden. Es gelte die Arzneimittelhersteller auf ihre Verpflichtung zur Bevorratung hinzuweisen.

Dass auch die Verringerung der Produktionsstandorte etwas mit den Eingriffen des Gesetzgebers und der Selbstverwaltung in die Preisgestaltung zu tun haben könnte, auf diesen Gedanken kommt man bei den Krankenkassen offenbar nicht. Diese Vermutung untermauern ihre Aussagen zum Innovationsfonds, der keine Produktneuheiten fördern dürfe. Denn „der medizinisch-technische Fortschritt bei Arzneimitteln und Medizinprodukten gehört in den Bereich der Wirtschaftsförderung und nicht in den Regelungskreis des Sozialgesetzbuchs.“

Angesichts der vielfältigen Reglementierungen, die die Kassen zusätzlich fordern, grenzt die Überschrift des letzten Kapitels dieses Positionspapiers an Ironie. Sie lautet „Überregulierung abbauen.“


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